Taste of previous days

Es ist Sonntagnachmittag. Der Schein der schon deutlich über den Zenit hinausgewanderten Sonne flimmert durch das noch spärliche Grün in mein Arbeitszimmer. Der Duft eines Bladnoch umschmeichelt meine Nase. Ich liebe den Charakter gerade dieses Whisky’s. Dabei blättere ich durch die Fotos einer kleinen Schottland-Reise mit meiner Frau, welche nunmehr schon über zehn Jahre zurückliegt. Viele Erinnerungen sind mittlerweile verblasst oder haben sich mit den Eindrücken späterer Reisen vermischt, so dass ich sie nicht mehr eindeutig zuordnen kann. Eine Begebenheit aber tritt immer wieder klar hervor und ist deshalb mit genau dieser Reise verbunden.

Wir hatten uns nach einem ausgedehnten schottischen Frühstück auf eine Erkundungstour durch die Mosses und Glens begeben. Das Wetter war wechselweise mit Sonne und feinem Regen durchsetzt, insgesamt etwas kühl, schottisch eben. Gegen Abend kamen wir, angefüllt mit den neu gewonnenen Eindrücken vor unserem aristokratisch wirkenden Hotel an, von dessen Umgebung gerade ein Nieselschauer Besitz ergriffen hatte. Doch kaum waren wir eingetreten und hatten die mit Feuchtigkeit angefüllte Luft hinter uns gelassen, umfingen uns die wohlige Wärme eines knisternden Kaminfeuers, gelassene Ruhe und Freundlichkeit. Wer jetzt erwartet, dass ich sogleich zum Genuss eines Scotchs schritt, ist im Irrtum. Wir richteten uns stattdessen nach der doch etwas langen Tour auf unserem Zimmer ein und bereiteten uns erst einmal einen englischen Tee und genossen die Entspannung, welche sich über unsere Köper ausbreitete. Gewöhnlich stellt sich alsbald ein Gefühl von Hunger ein, weswegen wir uns einer gewissen Abendtoilette unterzogen und, zumindest so es meine Frau betrifft, somit zu einer angemessenen Gesellschaftsfähigkeit des Äußeren gelangten. Kurz, wir waren bereit für ein dezentes Abendessen und begaben uns in die Aura des Dining Rooms. Etwas verwundert stellte ich fest, dass unser Verlangen von nicht eben vielen Hotelgästen geteilt wurde. Genau genommen waren wir die einzigen Gäste. Wie dem auch sei, jedenfalls genossen wir unser Dinner in ausgesprochen entspannter Atmosphäre. Somit höchlichst zufrieden, verlangte uns nach gewisser Zeit nach etwas lockerer Gemütlichkeit in angenehmer Gesellschaft. Wo kann man das wohl besser erwarten als in einer Distillery Bar. So tauschten wir sogleich unseren Aufenthaltsort mit der nämlichen Bar des Hotels. Beim Eintritt fiel mein Blick zunächst auf den Bartresen nebst einem freundlichen Barkeeper und einer Feuerstelle in der linksseitigen Trennwand. Das sah gemütlich aus. Ich freute mich auf die Tropfen aus den Flaschen im dahinter befindlichen Whisky-Regal. Weiter in den Raum vordringend, entdeckte ich das gediegene Interieur mit Holzvertäfelung an den Wänden. Am Duft feinen Zigarrenrauchs mangelte es zwar, aber damit muss die Gastronomie generell nun mal auskommen, auch wenn es eine Bar ist, in welcher grundsätzlich nicht gegessen wird. Grundsätzlich? Nein, auch hier hat die Kultur ein höheres Niveau erreicht. Da ja auch in Bars nicht mehr geraucht wird, kann dort durchaus auch Essen serviert werden, was genau auch der Fall war. Zwei Angler hatten es sich in ihrer Gummibekleidung in den Lederpolstern bequem gemacht und verspeisten gemütlich ihr Mitgebrachtes aus der Alufolie. Wir waren trotz unserer bescheidenen Abendrobe demgegenüber völlig overdressed. Ich war zwar etwas irritiert, ließ mir aber nichts anmerken. Wir setzten uns an die Bar und ich begann, den Keeper in ein Gespräch über Single Malt zu verwickeln. Das funktionierte. Er war sehr freundlich und auch zum Reden aufgelegt. Außer den Anglern waren wir immerhin die einzigen Gäste. Wir genossen unseren Single Malt während ich unterdessen danach trachtete ein wenig Unterhaltung mit dem Barkeeper fortzusetzen. Schade, dass die Feuerstelle in der Wand nicht in Betrieb war. Das ginge leider nicht, wurde mir versichert, da auch diese schädlich für die Raumluft sei. Nun ja, es ist eben schwierig für Kinder, wenn ihnen der Sinn nach Dingen steht, welche nicht gut für sie sind. Zum Glück gibt es da noch die Weisheit der Erwachsenen. Egal, doch so langsam erwachte in mir ein Verlangen nach wiederum etwas Verbotenem. Ich entschuldigte mich beim Barkeeper für ein paar Minuten, um draußen eine Zigarette zu rauchen. Doch wider meines Erwartens fragte er, ob es mir etwas ausmachen würde, wenn er mir Gesellschaft leiste. Hocherfreut nahm ich seinen Vorschlag an. So traten wir hinaus in den feinen schottischen Nebel, der uns durchaus nicht störte. Ich bot ihm eine Zigarette an. „Oh nein“ sagte er daraufhin „ich rauche nicht“. In mein verdutztes Gesicht blickend erklärte er weiter: „Ich wollte nur gern einmal den Rauch riechen. Es ist ansonsten so steril in der Bar. Ich vermisse das ein wenig.“

Und so blies ich meine Wölkchen in den schottischen Nebelhauch und wir beobachteten gemeinsam, wie sie sanft mit dem Nebel davonschwebten.


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